Ist der Traum vom Grundeinkommen jetzt geplatzt?

Eine neue US-Studie bringt Schwung in die Debatte

Natalie Schröder
20.08.2024

Ernüchternd, entzaubert, Schnapsidee: Ist der Traum vom Bedingungslosen Grundeinkommen nach einer US-Studie jetzt geplatzt? Ja endlich, sagen kritische Stimmen. Nicht so hastig, sagt Natalie Schröder vom Pilotprojekt Grundeinkommen. Der Zauber sei längst nicht verflogen – dafür wünschte sie, der Spuk von der Faulheit wäre endlich vorbei.

Genau null Tage bezahlter Urlaub. In der Woche, im Monat, im Jahr – zero bezahlte Krankheitstage, keine bezahlte Elternzeit. Geradezu gruselig sieht das Schaubild zur Statistik aus. Leere, dort wo ein Balken sein sollte.

Die USA sind hier die Ausnahme, und zwar im schlechtesten Sinne: Kein anderes OECD-Land garantiert seinen Arbeitnehmer*innen keine einzige Minute bezahlte Fehlzeit, ganz egal ob für Urlaub, Krankheit, Mutterschutz oder Elternzeit. Wer ein Kind geboren hat, steht in den USA vielleicht noch am selben Tag dumm da – nämlich ohne Geld, sollte man nach der Entbindung nicht sofort wieder im Einsatz sein. 

Wie könnte ein Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) Menschen in den USA beeinflussen? Menschen in Situationen wie den oben beschriebenen zum Beispiel? Die vor kurzem veröffentlichte Studie von Open Research, einem von Open AI-Geschäftsführer Sam Altman gegründeten gemeinnützigen Forschungsinstitut, befasst sich mit genau dieser Frage. Und befeuert mit den Ergebnissen neue Debatten mit altbekannten Ängsten: Alle hören auf zu arbeiten, die Todsünde Faulheit greift um sich, die Welt ist aus den Fugen.


Ganze 1,3 Stunden weniger arbeiteten die Proband*innen der Open Research-Studie pro Woche. Es gehört ganz schön viel Dreistigkeit dazu, mit mindestens 20 bezahlten Urlaubstagen im Rücken in Deutschland laut zu verkünden, dass 1,3 Stunden weniger Arbeit pro Woche ein gefährliches Zeichen der Faulheit sind. Ein Verhalten, das quasi an der moralischen Substanz des Menschen kratzt und auf lange Sicht unser Wirtschaftssystem zu Fall bringen wird.

1,3 Stunden weniger Arbeit pro Woche (also 15 Minuten weniger am Tag – eine Kaffeepause) bedeuten nämlich ungefähr acht freie Tage im Jahr.

Sowas passiert also mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen. Die Menschen nehmen sich im Schnitt acht Tage im Jahr frei, anstatt null. "Arbeitsverweigerung" wird das von Kritiker*innen genannt. 

Diese Arbeitsverweigerung kommt mir sinnvoll vor. Fast so, als hätte man sich in Deutschland etwas dabei gedacht, in der Regel dekadente 30 Tage bezahlten Urlaub zu geben. Weil es den Menschen so vielleicht besser geht und weil es verständlich ist, sich bescheidene acht Tage freizuschaufeln, wenn man kann. Zum Beispiel (ja, richtig) durch ein Bedingungsloses Grundeinkommen. 

Open Research Studie: Was kam wirklich raus?

Zum Thema Faulheit: Die Studienergebnisse zeigen, dass die Erwerbstätigkeit sowohl bei den Studienteilnehmer*innen, die ein Grundeinkommen erhalten haben, als auch bei der Kontrollgruppe, die kein Grundeinkommen erhielt, am Ende der drei Jahre deutlich gestiegen ist. Das zeigt keinen besonderen Effekt – aber auch ganz klar: Das Grundeinkommen ist kein Anlass, mit dem Arbeiten aufzuhören.

Teilnehmer*innen mit Grundeinkommen hatten außerdem eine um 2 Prozent höhere Wahrscheinlichkeit, arbeitslos zu sein. Das hört sich schlimm an. Tatsächlich liegt das teilweise daran, dass diese Personen durchschnittlich einen Monat länger mit der Jobsuche beschäftigt waren. Die Möglichkeit, einen Job durch eine finanzielle Absicherung sorgfältiger auszuwählen, könnte man als positiv interpretieren.

Noch wichtiger finde ich aber, dass sich der Beschäftigungsstatus fast ausschließlich bei Erwachsenen mit Kindern und bei unter 30-Jährigen änderte. Alleinerziehende mit Grundeinkommen waren eher weniger erwerbstätig und arbeiteten durchschnittlich 2,8 Stunden weniger pro Woche als die Kontrollgruppe. Die vermeintlich Arbeitslosen wechselten also einfach zu einer anderen, unbezahlten Art der Arbeit, nämlich der Kindererziehung.

Bei den unter 30-Jährigen liegt eine schulische oder berufliche Ausbildung nahe, die die Studienteilnehmer*innen auch mit größerer Wahrscheinlichkeit absolvierten. Das alles halte ich für positiv, nicht etwa für eine Gefährdung des Arbeitsmarktes.

Und es gibt noch mehr Effekte, die ich nur schwer negativ auslegen kann, wie andere es tun: Zum Beispiel nahm die unternehmerische Initiative bei Frauen und Schwarzen Teilnehmer*innen mit Grundeinkommen deutlich zu. Und: Vor allem die Einkommensschwächsten entschieden sich auch dazu, andere Menschen, wie ihre Familie und Freunde, finanziell stärker zu unterstützen.


So weit, so gut. Das große Verlierer-Thema ist bei der Altman-Studie aber anscheinend die Gesundheit: Es gab vermeintlich keine langfristige Verbesserung durch das Grundeinkommen. Stress und psychische Probleme verringerten sich im ersten Jahr zwar signifikant, der Effekt hielt aber nicht an.

Sehen wir uns das genauer an, ist ein vorschnelles vernichtendes Urteil aber zu begrenzt gedacht. Jede Studie kann schließlich nur eine bestimmte Personengruppe über einen eingeschränkten Zeitraum beforschen.

An der Studie nahmen Menschen im Alter von 20 bis 40 Jahren teil, eine eher junge, dadurch eher gesunde Gruppe. Investieren Menschen in diesem Alter zum Beispiel im ersten Studienjahr in ihre Gesundheit, müssten sie für den Rest der Zeit auch weniger Versorgung in Anspruch nehmen. Und genau das war zu beobachten.

Die Teilnehmer*innen nahmen deutlich mehr Arztbesuche wahr und investierten zum Beispiel stärker in Zahnpflege. Es ist also durchaus möglich, dass ein Dreijahreszeitraum für eine nachhaltige Verbesserung der Gesundheit nicht ausreicht und deshalb langfristige Effekte noch nicht messbar waren.

Vor allem, da die beforschte Gruppe aus einkommensschwachen Menschen besteht, die im Rahmen des US-Gesundheitssystems vielleicht noch nie krankenversichert waren. Größere Eingriffe wurden ob der extrem hohen Kosten vielleicht nicht vorgenommen, da die Geldauszahlung auf drei Jahre beschränkt war.

Klar ist dagegen, dass sowohl der gefährliche Alkoholkonsum als auch der Schmerzmittel-Missbrauch abnahmen. In Anbetracht der Todesfälle, die direkt auf Alkohol und Schmerzmittel zurückzuführen sind, bedeutet ein Grundeinkommen also definitiv bessere Gesundheit!

Wo kam das Altman-Grundeinkommen zum Einsatz?

Und wie steht es um das restliche Geld? 310 Dollar mehr gaben die Studienteilnehmer*innen mit Grundeinkommen monatlich aus, vor allem für lebensnotwendige Dinge: Miete, Transport, Lebensmittel. Und ja, auch für Freizeit.

Strikt notwendig ist das vielleicht nicht. Doch im Idealfall geht es bei der Vorstellung eines guten Lebens ja nicht nur darum, den Hungertod zu vermeiden. Ein puritanisches Verständnis von Geld für Freizeit als reine Verschwendung deprimiert mich.

Eine größere Freiheit, selbst zu wählen, wofür ich mein Geld ausgebe – auch abgesehen vom blanken Überleben – wird oft als eine Gefahr des Grundeinkommens dargestellt. Sarah Miller, eine Forscherin, die an der US-Studie mitgewirkt hat, twitterte Ende Juli einen Satz dazu, der mir im Gedächtnis geblieben ist:

"Our participants consumed more leisure, food, housing, and other stuff. And different people chose different things. Those consumption choices did not appear to improve their health on average, but they were the things participants wanted, as revealed by their own choices. This is a feature of cash, not a bug!" Zu deutsch etwa:

"Unsere Teilnehmer*innen gaben mehr Geld für Freizeit, Essen, Wohnen und andere Dinge aus. Und verschiedene Menschen wählten unterschiedliche Dinge. Diese Konsumentscheidungen schienen ihre Gesundheit im Durchschnitt nicht zu verbessern, es waren aber diejenigen Dinge, die die Teilnehmer*innen wollten, wie ihre eigenen Entscheidungen zeigen. Das ist eine Eigenschaft von Geld, kein Systemfehler!"

Was hat das mit dem Pilotprojekt Grundeinkommen zu tun? 

Die Fragen an das Pilotprojekt Grundeinkommen ließen nicht lange auf sich warten. Was halten wir von der US-Studie? Wirft sie unsererseits Zweifel auf? Schließlich gibt es ja durchaus Ähnlichkeiten mit unserem Forschungsprojekt. Was, wenn am Ende nichts Positives dabei herauskommt? 

Bei solchen Fragen erinnere ich mich an die Entstehung des Pilotprojekts: "Der Verein Mein Grundeinkommen ist, bezogen auf das BGE, voreingenommen." Ein cleverer Vorwurf, den ich nicht ganz leugnen kann. Doch genau dafür wurde das Pilotprojekt ja gestartet!

Eine drei Jahre andauernde Studie, durchgeführt von unabhängigen Wissenschaftler*innen, die sich mit der Frage befassen: Hat das Grundeinkommen auf eine Gruppe von Proband*innen nachweislich positive Effekte oder nicht?

Man muss uns nicht glauben, wenn wir sagen, dass wir es selbst ehrlich wissen wollen – so wie es das Motto des Pilotprojekts deutlich sagt. Tun wir aber. Schließlich könnte man mit seiner Zeit auch etwas anderes anfangen, als eine Idee voranzubringen, die vielleicht gar nicht funktioniert. Noch mehr ohne Pause arbeiten, zum Beispiel.


In der US-Studie sehen wir aber erstmal keinen Grund zur Sorge, sondern eine unglaubliche Chance: Die Forschung fand in einem ähnlichen Zeitraum wie das Pilotprojekt statt, sie basiert auf vergleichbaren Fragestellungen und methodischen Ansätzen.

Da keine einzelne Studie jemals repräsentativ für eine ganze Gesellschaft ist, geschweige denn direkt auf andere Länder übertragen werden kann, erlaubt sie US-Studie keine voreiligen Schlüsse darauf, was das Pilotprojekt Grundeinkommen im Januar 2025 zeigen wird.

Die Ähnlichkeiten ermöglichen aber einen länderübergreifenden Vergleich der Ergebnisse. Durch die Parallelen zur US-Studie können wir die Ergebnisse des Pilotprojekts, sobald sie vorliegen, in einen internationalen Kontext stellen. 

Die USA sind als Vergleichsland interessant, da die teilweise fehlende Gesundheits- und soziale Absicherung zu anderen Bedürfnislagen führt als in Deutschland. Es wird also besonders spannend.

Unser Ziel ist es, zu einer faktenbasierten Debatte über das Bedingungslose Grundeinkommen beizutragen. Genau das hat die US-Studie auch getan.

Was kommt jetzt? 

Die pessimistischsten Einschätzungen machen mich traurig. Aber die Hoffnung darauf, von anderen Menschen und vielleicht sogar von mir selbst, positiv überrascht zu werden, gibt mir Kraft. Auch wenn ich manchmal nicht so recht daran glaube. Ich kann mir nicht vorstellen, diese Hoffnung so pauschal und mit Vergnügen aufzugeben.

Die Idee des Grundeinkommens als endlich gescheitert zu feiern – aufgrund einer Studie, die durchaus auch positive Effekte vermuten lässt – fühlt sich wie deplatzierte Schadenfreude an. Schließlich geht es hier darum, unzähligen Menschen ein besseres Leben zu ermöglichen, Wege aus Armut und finanzieller Not zu finden und dafür möglichst viele Entwürfe zu testen. Die vermeintlich inhärente Faulheit des Menschen als allererstes erkannt zu haben – ist das denn wirklich ein Gewinn, auf den es sich zu hoffen lohnt?

Zur Todsünde der Faulheit zählt in der klassischen Theologie übrigens, neben dem blumigen Vergehen der "Trägheit des Herzens", auch Ignoranz. Hart arbeitende Kritiker*innen des Grundeinkommens, die aber nicht entgegen ihrer eigenen Überzeugung ehrlich genug nachforschen, sind also auch nicht frei vom gefürchteten Hauptlaster.

Die acht freien Tage und den unglaublichen Zynismus, der nötig ist, um daraus Faulheit und Arbeitsverweigerung abzulesen, kann ich nicht vergessen. Manchmal stelle ich mir vor, die lautesten Zweifler*innen wären selbst Teil einer Grundeinkommensstudie. Nur müssten sie vor Beginn der Studie das Gegenteil testen, erstmal in der Ausgangssituation der Proband*innen leben.

Das heißt in diesem Fall also: 30 Tage bezahlten Urlaub im Jahr komplett aufgeben, ohne bezahlte Krankheitstage leben und dann testen, ob sie mit einem Grundeinkommen wirklich kein bisschen mehr frei machen, sondern bereitwillig 365 Tage im Jahr arbeiten würden. Aus einem moralischen Imperativ heraus, oder um im Alleingang die Wirtschaft anzukurbeln, oder eben, um nicht als faul bezeichnet zu werden. Das fühlt sich nämlich nicht gut an, wenn man eigentlich ums Überleben kämpft. 

Aber eins nach dem anderen. Erstmal beendet das Pilotprojekt Grundeinkommen die erste Langzeitstudie zum Bedingungslosen Grundeinkommen in Deutschland. Bis Ende des Jahres wird die Analyse der gesammelten Daten noch dauern, im Januar 2025 liegen dann die Ergebnisse vor.

Und vielleicht schreibe ich dann wieder einen Text, in dem ich mich frage, warum so viele Menschen das Grundeinkommen immer noch für eine Schnapsidee halten. Aber das wäre gut. Denn tatsächlich ist genau das ja das Ziel unseres Pilotprojekts: Die altbekannten Diskussionen neu führen zu können, nur mit Fakten. Ich lasse mich überraschen. Wir hören uns im Januar.

(Um noch genauer in die Studienergebnisse einzusteigen, empfehle ich den wunderbaren Text von Scott Santens: Did Sam Altman's Basic Income Experiment Succeed or Fail?)

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