Wie werden wir morgen arbeiten und was hat das Grundeinkommen damit zu tun?

Das Pilotprojekt soll Fakten in die ewige Debatte rund um das Bedingungslose Grundeinkommen bringen. Aber ein Schritt zurück: Worüber wird eigentlich debattiert? Nicht weniger als die Zukunft der Arbeit. Wir werfen einen Blick auf drei strittige Szenarien.

Jannik Gronemann
12.12.2022

Diese Szenarien tauchen in der öffentlichen Debatte zuletzt immer wieder auf und verraten uns bei näherer Betrachtung viel mehr als nur ein Für und Wider. Stattdessen stecken in ihnen grundlegende Ansatzpunkte für die Gestaltung der Arbeitswelt von Morgen.

Szenario 1: Automatisierung

Das übernimmt der Roboter VS. Ein nie eingelöstes Versprechen

Worum geht es?

Im Umbruch war die Arbeitswelt schon immer. Aber zuletzt scheint es immer schneller zu gehen. Der technologische Fortschritt, in Form von Automatisierung und künstlicher Intelligenz, krempelt gesamte Branchen um und macht immer mehr Berufsfelder obsolet. Davon sind nicht nur klassische Produktionsjobs im Fertigungssektor betroffen, nein, der Wandel hält auch in die geistige Arbeit Einzug. Zuletzt konnten wir beobachten, dass neue Tools wie Dall-E und ChatGPT sogar in die zuvor als unantastbar menschlich geltende Domäne der Kreativität eingreifen.

Welche Meinungen gibt es dazu?

Für viele Menschen scheint klar: In der Zukunft werden wir um die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens gar nicht herumkommen. Der Bedarf für menschliche Arbeit nimmt ab, da fortschreitende Automatisierung, künstliche Intelligenz und Robotisierung uns Arbeit abnehmen und in einem Bruchteil der Zeit erledigen. Nach ihrer Ansicht ist das Grundeinkommen der bestmögliche Weg, um die negativen Effekte dieser Entwicklung abzufedern. Ein Schutz vor technologisch getriebener Arbeitslosigkeit.

Die Automatisierung hat schon jetzt diverse Arbeitsplätze ersetzt. Aber war das erst der Anfang?

Verpassen wir unsere Chance, diese Produktivitätszuwächse zugunsten aller nutzbar zu machen, drohe die Gefahr, dass nur eine kleine Elite von dieser Entwicklung profitiere. Die Folge wären eine verschärfte Spaltung der Gesellschaft - in Menschen mit Arbeit, Sinnhaftigkeit und gesellschaftlicher Teilhabe einerseits und den davon Ausgeschlossenen andererseits. Eine Entwicklung mit unschätzbarer Sprengkraft.

Kritiker*innen dieser Prognose bemängeln, dass hierbei außer Acht gelassen werde, dass es keine endliche Anzahl an Jobs und Arbeit gibt. Im Laufe der Geschichte seien immer wieder Berufsfelder in die Zahnräder des technologischen Fortschritts geraten und neue entstanden. Zeiten, in denen wir plötzlich nicht mehr arbeiten müssten, seien schon vor Jahrhunderten prognostiziert worden. Und trotzdem sei dieser Fall nie eingetreten. Für sie Beweis genug, dass wir die Utopie von Robotern, die unsere Arbeit verrichten - aber im Umkehrschluss auch die Dystopie von der plötzlichen Massenarbeitslosigkeit - nie erreichen werden.

Welchen Kern hat diese Debatte?

Die Debatte beinhaltet beides: Einerseits die Hoffnung auf eine Welt, in der wir irgendwann mehr Zeit für die wirklich wichtigen Dinge im Leben haben und andererseits die Furcht vor einem plötzlichen Bedeutungsverlust und Gefühl der Nutzlosigkeit. Zu Grunde liegt also, wie so oft, die Frage nach dem guten und sinnhaften Leben. Und die Absicherung vor einer unsicheren Zukunft mit disruptiven Kräften steigenden Ausmaßes.

Szenario 2: Arbeitskräftemangel

Wer soll denn dann noch arbeiten? VS. Vertrauen kommt nicht von allein

Worum geht es?

Schon jetzt fehlt es vielen Branchen an Arbeitskräften - das geht von der hoch ausgebildeten Fachkraft bis zum niedrigschwelligen Gastro-Job. Besserung scheint zunächst nicht in Sicht: Der demografische Wandel führt dazu, dass bald geburtenstarke Jahrgänge in Rente gehen, während nicht genug junge Menschen an ihre Stelle treten. 500.000 potenzielle Arbeitskräfte sollen dem Arbeitsmarkt dadurch bald jährlich fehlen. Laut dem Arbeitsmarktexperten Stefan Sauer vom ifo-Institut wird sich dieses Problem langfristig noch weiter verschärfen.

Welche Meinungen gibt es dazu?

Aushänge wie diesen wird man bald noch öfter sehen.

Kritiker*innen sagen, dass der schon jetzt um sich greifende Arbeitskräftemangel die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens verunmögliche. Schließlich würden wir jede menschliche Ressource benötigen, die wir kriegen können. Um die Wohlstand zersetzende Auswirkung von Überalterung und geringen Geburtenraten aufzuhalten, sei jedes Mittel recht. Auch über höhere Renteneintrittsalter müsse gesprochen werden. Menschen in diesem für Arbeitgeber ohnehin schon angespannten Klima die Option zu geben, nicht mehr arbeiten zu müssen, sei volkswirtschaftlich gemeingefährlich.

Nein, sagt die Gegenseite. Gerade jetzt müssten Anreize geschaffen werden, um neues Vertrauen in die Zukunft und Planungssicherheit in unsicheren Zeiten zu schaffen. Da bei der Entscheidung gegen das Kinderkriegen oft finanzielle Überlegungen sowie die daran gekoppelte Frage nach der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, eine übergeordnete Rolle spielen, könne ein Bedingungsloses Grundeinkommen zu einem dringend benötigten Kulturwandel in Sachen Arbeit und Nachwuchs beitragen.

Außerdem habe die Corona-Krise gezeigt, dass Menschen in Niedriglohnarbeitsplätzen gewillt seien, sich weiterzubilden und ihre Chance auf Arbeitsplätze in passenderen Branchen genutzt hätten. Dass der Mangel an Arbeitskräften gerade in als stressreichen und unsicher geltenden Branchen herrsche, unterstreiche, dass es einer besseren Entlohnung und zeitlichem Ausgleich bedürfe - Dinge, die mit einem Bedingungslosen Grundeinkommen gegeben oder zumindest leichter durchsetzbar wären.

Welchen Kern hat diese Debatte?

Im Gegensatz zum ersten Szenario wird bei dieser Debatte davon ausgegangen, dass die Arbeitskräftenachfrage bis auf Weiteres höher bleiben werde als das Angebot. Führt das alleine schon dazu, dass der Nachwuchs zukünftig von Arbeitgebern stärker umworben wird oder müssen zusätzliche Anreize geschaffen werden?

Was können oder müssen wir in die Waagschale werfen, um einem zunehmend desillusionierten Nachwuchs wieder Lust auf die Zukunft und eine Arbeitswelt zu machen, die ihr Leistungsversprechen gebrochen zu haben scheint? Und wie viel Nachwuchs brauchen wir, um unseren gesellschaftlichen Wohlstand auch künftig aufrechtzuerhalten?

Szenario 3: Postwachstum

Weniger Arbeiten fürs Klima VS. Der wirtschaftliche Super-GAU

Worum geht es?

Dass es unter den sich stetig verschlimmernden Bedingungen der Klimakrise kein “Weiter so!” geben kann, wird immer mehr Menschen klar. Was aber überrascht: Mittlerweile sind viele sogar bereit dazu, einen Teil ihres Wohlstands zum Wohle unseres Planeten aufzugeben. In einer Umfrage des ARD-Politikmagazins Report Mainz stimmten 46 Prozent der Aussage "Wir müssen auf Wirtschaftswachstum verzichten, um den Klimawandel zu stoppen" zu.

Der Kerngedanke der sogenannten “Degrowth”-Bewegung scheint damit in der Mitte der Gesellschaft Fuß zu fassen. Er besagt, dass wir zum Wohle unseres Planeten die Wirtschaft in den umweltschädlichsten und unnötigsten Industrien zurückfahren müssten - und damit auch unseren Ressourcenverbrauch.

Welche Meinungen gibt es dazu?

Wie können wir in einer Welt, in der wir dazu gezwungen sind, unser wirtschaftliches Wachstum als oberste Maxime abzuwerfen, dafür sorgen, dass trotzdem genug Wohlstand generiert wird, um unsere Existenzsicherung zu gewährleisten?

Jason Hickel, einer der Köpfe dieser Denkrichtung, gibt offen zu, dass mit der Umstellung auf eine nachhaltigere Form der Wirtschaft auch der Bedarf für Arbeitskraft sinken würde. Je rationaler und effizienter wir unsere Wirtschaft gestalten, desto mehr Jobs fallen weg, so sagt er.

Die Lösung dieses Dilemmas sieht er in einer damit einhergehenden Verkürzung der Arbeitszeit, die es uns erlaubt Jobs zu teilen und reichlich freie Zeit beschert, die wir für Dinge einsetzen können, die wirklich wichtig sind, wie Care-Arbeit in Familie und Gesellschaft.

Könnten wir so noch genug Wohlstand erwirtschaften? Gegen Ende seines aktuellen Buches stellt Hickel das Grundeinkommen als Lösungsansatz in den Raum. Aber ließe sich das noch finanzieren, wenn weniger gearbeitet wird?

Produzieren für die Tonne. Gehört das im Postwachstums-Zeitalter der Vergangenheit an?

Die Forscher*innen des “Club of Rome” meinen Ja und plädieren in ihrer neuen Studie "Ein Survivalguide für unseren Planeten" ebenfalls für einen radikalen Wandel der globalen Wirtschafts-, Energie- und Nahrungsmittelsysteme. Den Schlüssel dafür sehen sie in einer Umverteilung des Reichtums. Durch eine stärkere Besteuerung der reichsten zehn Prozent und auf von der Industrie genutzten Allgemeingütern, ließe sich ein Grundeinkommen finanzieren.

Eine schöne, aber naive Vorstellung, sagt die Gegenseite. Ein globales Projekt solchen Ausmaßes wäre schon realpolitisch komplett illusorisch. Weiterhin sei ein absichtliches Schrumpfen unserer Wirtschaft mit einer gleichzeitigen wirtschaftlichen Absicherung von uns allen überhaupt nicht zu bewerkstelligen. Das Beste, was wir tun könnten, sei auf “Green Growth” zu setzen. Also: Die Wachstumslogik unseres Wirtschaftssystems beizubehalten, aber gleichzeitig alle Produktionsprozesse und Infrastruktur so umweltfreundlich wie möglich umzustellen. Ein langsamer Prozess, aber wenigstens einer, der gesellschaftlich tragbar sei und nicht einen Großteil in die Arbeitslosigkeit befördere.

Welchen Kern hat diese Debatte?

Wie so oft bei gesellschaftlichen Veränderungsprozessen geht es um die Frage: Wie radikal muss systemischer Wandel ausfallen, um die notwendige Veränderung mitzubringen? Und können wir einen solchen Wandel in einer risikoarmen Weise gestalten, die uns einen blinden Schritt ins Ungewisse erspart? Und nicht zuletzt: Ist unser Lebensstandard verhandelbar? Wenn ja, bis zu welchem Grad?

Raus aus der Debatte, rein in die Erkenntnis

Welche der hier angeschnitten Szenarien eintreten und in welcher Form, bleibt abzuwarten. Aber die Konfliktlinien in der Debatte, um das Grundeinkommen und die Zukunft der Arbeit, zeigen schon heute, welche Überlegungen es im Blick zu behalten gilt.

Ob das Bedingungslose Grundeinkommen bei diesen arbeitsmarktpolitischen Herausforderungen als realistischer Teil der Lösung gesehen werden kann, wird vor allem auch von einer Frage abhängen: Hören Grundeinkommensempfänger*innen auf zu arbeiten?

Über diesen einfachen, aber grundlegenden Sachverhalt gilt es Klarheit zu gewinnen. Das Pilotprojekt Grundeinkommen ist gerade dabei, genau das zu erforschen.

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